Von Tolstoi-Friedensbibliothek
Jede wahre Religion, so erkannte der russische Friedensbotschafter Leo N. Tolstoi (1828-1910), führt zur Erkenntnis der Einheit der ganzen Menschheit und erlöst uns aus dem Abgrund der Gewalt. "Christi Lehre", Böses nicht mit Bösem zu beantworten, betrachtete er als den einzigen Ausweg aus den Abgründen der Kriegsapparatur, die sonst am Ende zur Zerstörung allen Lebens führen muss. Im letzten Lebensjahrzehnt war ihm die dialogische Verbundenheit aller Religionen und Kulturen ein drängendes Anliegen. Die universale Wegweisung der Gewaltfreiheit reicht ja bis ins erste Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zurück und steht z.B. schon im Zentrum des chinesischen Tao-Buches.
Eine vor kurzem von Ingrid von Heiseler und Peter Bürger vorgelegte Neuedition der Sammlung "Tolstoi und der Orient" (1923/25) eröffnet Einblicke in die interreligiösen Studien und Dialoge Tolstois. Die dargebotenen Briefe oder Abhandlungen des russischen Christen beziehen sich überwiegend auf die Lehren von Krishna, Buddha, Konfuzius, Laotse und Mohammed (Indien, China, Russland, Japan, Persien).
Der Bearbeiter Pavel Birjukov schreibt in seinem Nachwort: "Suchen wir nach ... charakteristischen Kennzeichen für die Verwandtschaft Tolstois mit dem Orient. Ein solches Merkmal ist zweifellos ihre gemeinsame Abneigung gegen die europäische Zivilisation. Unter Zivilisation müssen wir hier erstens einmal die staatlichen Einrichtungen verstehen, die von den selbstbewussten Europäern als etwas Höheres gepriesen werden, das man den Orientalen mit Gewalt aufzwingen dürfe; dann aber die ganze okzidentale Kultur, soweit sie den Menschen geradezu der Religion entfremdet und ihn dem Tier annähert, das Verständnis für wahres Leben in ihm erstickt und ihn den Sinn des Lebens mit Hilfe der sogenannten Wissenschaft und Technik in eigensüchtigem, raffiniert entwickeltem Sinnengenuss finden lässt. Eine Zivilisation, die zu Sklaverei, Krieg, Revolution, Hass, Lüge und endlich zur Selbstvernichtung führt, d.i. zu völligem Wahnsinn. - Die Vertreter des Orients nun empfinden diese ‚weiße Gefahr' und suchen mit Leo Nikolajewitsch nach einem Kriterium, um sich unter diesem Andrang von Europäismus und Amerikanismus zurechtzufinden, ihm nur das zu entnehmen, was ihnen von Nutzen sein könnte, und sich ihr gutes Altes zu bewahren, das sie auf einen neuen Lebensweg führen soll. Zu dieser Ablehnung der weltlichen Kultur gehört auch der Widerspruch gegen die Vormundschaft der Kirche und das Suchen nach einer unmittelbaren Verbindung Gottes mit dem Menschen, d.h. nach dem Leitprinzip des Lebens. Auf diesem Boden fanden sich Tolstoi und die Vertreter des Orients."
Leo N. Tolstoi: Begegnung mit dem Orient. Briefe und sonstige Zeugnisse über die Beziehungen des Dichters zu den Vertretern orientalischer Religionen - bearbeitet von Pavel Birjukov (Tolstoi-Friedensbibliothek: Reihe B, Band 12). Norderstedt 2023.
(ISBN: 9783757891749; Paperback; 248 Seiten; 11,99 Euro).
Inhaltsverzeichnis, Leseprobe, Bestellangebot beim Verlag:
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Übersicht und Informationen über die gesamte Reihe (einschließlich der kostenfrei abrufbaren Digitalversionen) auf der Projektseite: www.tolstoi-friedensbibliothek.de
Das Lebenshaus Schwäbische Alb ist Kooperationspartner dieses pazifistischen Editionsprojektes.
(Leseprobe)
Von Abdullah-al-Mamun-Suhrawartliy,
M.A. Dr. der Philosophie, Jurist, Ritter des Medjidje-Ordens,
Autor der Broschüren "Gespräche Mohammeds" und
"Mohammedanische Rechtswissenschaft"
23. Juli 1908
Die Tatsache, daß ich, ein Einwohner des finstern und fernen Hindostan, Ruhm und Unsterblichkeit mir zu erringen unternehme, indem ich aus Anlaß des historischen Ereignisses diese wenigen Zeilen über den Yoga (Weisen) in Jasnaja Poljana schreibe, diese Tatsache allein schon gibt einen Begriff davon, wie tief und weit das Licht Tolstois gedrungen, und zeigt, wie seine vielseitige und anziehende Persönlichkeit durch die Großzügigkeit und Universalität seiner Lehre fesselt, wie sie sich die Geister der Menschen unterwirft und sie zusammenführt, die geographisch so weit voneinander entfernt sind wie der Nordpol vom Südpol.
Vor 15 Jahren, noch als Schüler, hörte ich zum ersten Male den Namen Tolstois. Mein Bruder Mohammed-al-Mamun verschlang seine Bücher und war ein glühender Verehrer des Grafen. Der Lebensfaden meines Bruders riß frühzeitig ab, als er erst 21 Jahre zählte. Aber sein Einfluß auf mich währt bis auf den heutigen Tag. Er übertrug auf mich seine Verehrung der Werke Tolstois.
Jahre voll von Aufregungen, Kummer und heimatlosem Umherschweifen machten mich ihn vergessen. Da brachte mich, als ich Hörer der französischen Sprache war, in einem kleinen Restaurant der "Rue des Missionaires" die Äußerung eines englischen Studenten über Tolstois "Auferstehung" wieder auf ihn und zu meinen Kindheitserinnerungen zurück.
Nach zwei Jahren, als Gast des Grafen Dr. phil. Henri Coudenhove Kalergi im Schlosse Ronsperg in Österreichisch-Böhmen, begann ich in Gesprächen mit dem [inzwischen] verstorbenen Grafen, durch seine tiefdringenden Bemerkungen erleuchtet, die internationale Bedeutung des großen Propheten zu erfassen, den das Rußland der Gegenwart hervorgebracht hat.
Ich bin ein Bekenner des Islam, einer Religion, die gewöhnlich mit Vergewaltigung und Blutvergießen zusammengebracht wird. Und dennoch bin ich ein Schüler Tolstois. Ich bin ein Streiter für den Frieden und den Verzicht auf jede Gewaltanwendung. Das kann paradox erscheinen. Aber das Paradoxe schwindet, wenn man den Koran so liest, wie Tolstoi die Bibel las, im Lichte der Wahrheit und Einsicht und nicht im Nebel des Aberglaubens und der Unwissenheit.
Die Lehre vom Verzicht auf jeden Widerstand mittels Gewalt, die Tolstoi unermüdlich predigte, entspricht vornehmlich dem Orient, ganz besonders aber Indien, das mit der Lehre Gotama Buddhas verwachsen ist. Und die Predigt Tolstois in Verschmelzung mit den Lehren der Propheten und Weisen, die einst in diesem historischen Lande gefeiert wurden, sie wird vielleicht in unsrer Zeit gleichfalls Messiasse und Mahdis zeugen, die, ans Kreuz geschlagen, ihre Folterknechte segnen.
Mein Verlangen, Tolstoi meine Verehrung persönlich zu bezeigen, hat sich nicht erfüllt. Und wird sich wohl auch in diesem Leben nicht mehr erfüllen. Wir haben nur einmal Briefe miteinander gewechselt. Und dennoch, seine bezaubernde Persönlichkeit ist mir zur Leuchte auf meinem Lebenswege geworden - durch diesen einzigen Brief. Im Gegensatze zu anderen "großen Männern" ist sich Tolstoi seiner Größe nicht bewußt. Er ist gleich Mahomet einer der unsern und kein Übermensch, der etwa von der Höhe seiner Majestät auf uns arme "Menschlein" herabschaute. Er beunruhigt und bedrückt seine Verehrer nicht. Darin zeigt sich bei ihm die Harmonie zwischen seinem Leben und seiner Lehre.
Licht ist - Licht aus Gott, nicht aber aus dem Orient oder dem Okzident. Das Licht leuchtet, gleichgültig, ob es in goldenem, silbernem oder in irdenem Leuchter brennt, in einem chinesischen, russischen oder arabischen. Dieser russische Graf, dieser Bauer, Pädagoge und Prophet ist der Gegenstand meiner Verehrung. Ich fühle meine Seelenverwandtschaft mit ihm. Auch ich bin durch die Tiefen des Zweifels und der Versuchung, der Niedergeschlagenheit und der Verzweiflung gewandert. Und ohne es zu wissen auf demselben Pfade wie Tolstoi.
Und obwohl ich noch keine dreißig zähle, habe ich doch schon in mir die Unrast des Leidens und die Lasten des Kummers empfunden, die der Welt Christusse, Buddhas und Tolstois schenkten.
34, Elliot R., Kalkutta - Abdullah-al-Mamun-Suhrawardy
]]>Die Liste von Unfällen und Beinahe-Katastrophen mit Atomwaffen, Atom-U-Booten und fehlerhaften Warnsystemen ist in allen Atomwaffenstaaten erschreckend lang und unvollständig. Allein die USA "vermissen" aktuell immer noch mindestens acht voll explosionsfähige, verlorene Bomben. Sogenannte Broken Arrow-Unfälle führten in den USA, in Spanien und Grönland zu massiven radioaktiven Verseuchungen. Die USA geben 32 solcher schweren Unfälle bis 1980 öffentlich zu. Eine inoffizielle Liste spricht von über 1.000. Die tatsächliche Zahl an Bränden, Fehlzündungen oder Abstürzen atomar bestückter Flugzeuge dürfte weit größer sein. Im Jahr 1980 stand die Welt "Zwanzig Minuten am Rand eines Atomkriegs". Ein fehlerhafter Computer hatte verrückt gespielt und einen sowjetischen Angriff gemeldet. 20 Minuten dauerte es, bis alle Atombomber-Triebwerke wieder abgestellt, bis die Raketen-Mannschaften wieder auf normale Alarmbereitschaft zurückbeordert waren.
Am 30.1.2024 stürzte jetzt eine Test-Atomrakete ab und verfehlte das abfeuernde britisches Atom-U-Boot um wenige Meter. Im U-Boot, der HMS Vanguard, hielt sich zu diesem Zeitpunkt der britische Verteidigungsminister Shapps und der Chef der britischen Kriegsmarine, Admiral Sir Ben Key auf. Zum Glück waren die atomaren Sprengköpfe der 58 Tonnen schweren Rakete nur Attrappe. Aber das Ganze hätte leicht das Atom-U-Boot versenken können. Neben einem hoch radioaktiven Druckwasserreaktor verfügt das U-Boot über 16 Trident-Raketen. Jede einzelne dieser Raketen ist mit 40 nuklearen Sprengköpfen bestückt, von denen jeder die sechsfache Kraft der Hiroshima-Bombe haben soll. (16x40x6 ...) Ein versehentlicher Treffer hätte nicht unbedingt eine Atomexplosion ausgelöst, wohl aber zu einer massiven radioaktiven Verseuchung geführt.
Drei Wochen lang wurde der Vorfall vor der Küste Floridas geheim gehalten. Auch in Demokratien gilt beim Militär: Was sich verheimlichen lässt, wird verheimlicht, was sich nicht verheimlichen lässt, wird verharmlost und heruntergespielt. Nur Dank kritischem Journalismus wurde der hochriskante Unfall und die Beinahe-Katastrophe jetzt bekannt. Das Militär versucht, den gefährlichen Unfall als Patzer herunterzuspielen.
Der aktuelle Unfall erinnert an den letzten britischen Atomraketentest im Jahr 2016. Er endete in einem Fiasko, das zu einem Atomkrieg hätte führen können. Damals war geplant, dass das U-Boot HMS Vengeance eine Rakete von einer Unterwasser-Position im Nordatlantik Tausende von Kilometer weit in den Südatlantik schießen sollte. Kaum aus dem Ozean aufgetaucht, änderte die Rakete aber den ihr vorgegebenen Kurs. Statt in Richtung Süden begann sie nach Westen, zur nahen US-Küste hin, zu fliegen. Die USA mögen es überhaupt nicht, wenn Raketen in ihre Richtung fliegen. Noch im Flug wurde sie in aller Eile gesprengt.
Der Unfall und die Beinahe-Katastrophe werfen ein grelles Licht auf die aktuelle Debatte um mehr Atomwaffen für Europa und zeigen das mörderische Risiko dieser Technologie. Mit unglaublich viel Glück haben wir die Broken Arrow-Unfälle und Beinahe-Katastrophen der letzten Jahrzehnte überlebt. Im Besitz der neun Atomwaffenstaaten befinden sich aktuell ca. 12.500 Atomwaffen. Mit den heute vorhandenen Atomwaffen lässt sich die Menschheit mehrfach vernichten und dafür braucht es keinen Krieg. Ein dummer menschlicher oder technischer Fehler genügt.
Quelle: Mitwelt.org, 27.02.2024.
]]>Eine deutliche Mehrheit der Bürger fürchtet einer Umfrage zufolge eine Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf europäisches NATO-Gebiet. Warum wird das hingenommen, als handele es sich um ein unabwendbares Naturereignis?
"Vielleicht wird es der späte Historiker noch rätselhafter finden als wir Zeitgenossen, dass, obwohl allmählich fast jedes Kind wusste, dass man vor Kriegen stand, die auch für den Sieger das entsetzlichste Leiden mit sich brachten, dennoch die Massen nicht etwa mit verzweifelter Energie alles unternahmen, um die Katastrophe abzuwenden, sondern auch noch ihre Vorbereitung durch Rüstungen, militärische Erziehung usw. ruhig geschehen ließen, ja sogar unterstützten."
Mit diesen Worten von Erich Fromm hatte ich vor genau 40 Jahren ein Buch über Angst - genauer: Nicht-Angst - und atomare Aufrüstung eingeleitet, das im Mai 1984 erschien. Fromm hatte diese Sätze am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, 1937, in seinem Aufsatz "Über die Ohnmacht" formuliert; das Zitat war damals also bereits 47 Jahre alt.
Warum ich nun vier Jahrzehnte später einen Essay wiederum mit diesem Zitat eröffne, das bedarf, leider!, keiner weiteren Erläuterung. Wiederum stehen wir vor Kriegen, nein: tobt im Osten Europas längst ein Krieg, der "auch für den Sieger" - falls es den überhaupt geben und was auch immer hier mit "Sieg" genau gemeint sein sollte - "das entsetzlichste Leiden" mit sich bringen wird, nein: bereits mit sich bringt. Und es sieht so aus, als hätte dieser Krieg seinen Kulminationspunkt noch gar nicht erreicht. Auf der Skala der möglichen Entsetzlichkeiten ist nach oben noch erschreckend viel Luft. Mit anderen Worten: Dass der Krieg in der Ukraine sich nicht doch noch zu einem Flächenbrand auswächst, der ganz Europa, ja möglicherweise die gesamte Nordhalbkugel erfasst, und dass die finalen Untergangsgeräte nicht doch noch zum Einsatz kommen, falls eine Seite sich definitiv in die Ecke gedrängt fühlen sollte, das ist noch lange nicht ausgemacht.
Nur, dass diese Gefahr, genauso wie vor über 85 Jahren, offenbar niemanden groß zu interessieren, gar aufzuregen scheint!
Mittlerweile frage ich mich nur noch, was mich fassungsloser macht: Die Ungeniertheit, die fröhliche Unbekümmertheit und an Wahnsinn grenzende Skrupellosigkeit, mit der Politiker, Militärs und Medien hierzulande nahezu unisono im Dauerstaccato und jeden Tag schriller bis an die Schmerzgrenze eskalieren - von der Lieferung immer gefährlicherer Waffensysteme über Szenarien, "den Krieg nach Russland zu tragen und Ministerien, Hauptquartiere und Kommandoposten zu zerstören" bis zur Forderung nach westlichen "Boots on the Ground" - oder die Apathie und Schockstarre, mit der die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen dies alles kritik- und klaglos über sich ergehen lässt. Dabei scheint es unter der Oberfläche durchaus zu brodeln. Erheblich mehr Menschen als auf den ersten Blick sichtbar scheint es allmählich mulmig zu werden. So äußerten Ende Februar im Rahmen einer INSA-Umfrage 61 Prozent die Befürchtung, der Ukrainekrieg könne sich auf NATO-Gebiet ausweiten. (Der Untersuchung "World Affairs" des global operierenden demoskopischen Instituts IPSOS in 30 Ländern auf allen Kontinenten zufolge, hielten Mitte November letzten Jahres im länderübergreifenden Durchschnitt sogar 71 Prozent "eine nukleare, biologische oder chemische Attacke innerhalb der nächsten zwölf Monate für eine reale Gefahr".) Und seit langem wünscht sich eine überwältigende Mehrheit der Deutschen ein stärkeres Engagement der Bundesregierung für Friedensverhandlungen. All dies ist angesichts des medialen Dauerfeuers aus allen offiziellen Kanälen durchaus bemerkenswert. Andererseits bleibt die allgemeine unterschwellige Unruhe stumm und auf der Handlungsebene völlig folgenlos, sodass man sich fassungslos fragt, wo eigentlich der längst fällige Aufschrei bleibt.
Und auch das ist nicht neu.
"Nahezu die Hälfte unserer Bevölkerung glaubt laut Umfragen an die Möglichkeit eines Krieges. Die Leute sind betroffen, aber sie rühren sich kaum. Wie können Menschen in Passivität und zumindest äußerlicher Gelassenheit auf demoskopischen Fragebögen bejahen, dass ein großer Krieg bevorstehen könnte? Warum reagieren wir so, als handele es sich hier um ein unbeeinflussbares Naturereignis, obwohl in dieser Angelegenheit doch alles, was geschieht, in der Macht menschlicher Berechnung und Entscheidung liegt?" Dies schrieb der 2011 verstorbene Arzt und Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter im Mai 1980 im Vorfeld der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa. "Wir Bürger fühlen uns in einen seltsam unmündigen Zustand versetzt, der uns zugleich die Sprache verschlägt", konstatierte Richter damals in seinem "Sind wir unfähig zum Frieden?" betitelten Essay und diagnostizierte "Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit".
Die Parallele zur aktuellen Situation springt förmlich ins Auge.
Dabei verblüfft zugleich, dass "Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit" jedoch bei anderen gesellschaftspolitischen Themen nicht unbedingt vorherrschen. Immerhin gingen hier in den letzten beiden Monaten Hundertausende Menschen "Gegen rechts!" und "Für ein buntes weltoffenes Deutschland!" auf die Straße. Vergleicht man allerdings diese Zahlen mit denen derjenigen, die bislang für ein Ende der Kampfhandlungen im Ukrainekrieg demonstrierten, so ergibt sich ein groteskes Missverhältnis. Offenbar sind nicht nur die jungen Klimaschützer, sondern auch die überwiegende Mehrheit der Demonstranten für ein weltoffenes Deutschland blind für die Möglichkeit einer Ausweitung des Ukrainekrieges auf NATO-Terrain - mit Gefahren bis hin zum Undenkbaren ...
Und dies ist ebenfalls nicht neu. Was Horst-Eberhard Richter zu Beginn der achtziger Jahre in diesem Kontext über Initiativen gegen Kindesmisshandlungen und Tierversuche bis hin zum Kampf gegen Atomkraftwerke schrieb, gilt mutatis mutandis heute ebenso: "Niemand wird den Sinn der Initiativen bestreiten, die sich zur Abwendung solcher und anderer Gefahren aufgetan haben. Aber wenn das Gesamt dieser Initiativen am Ende zu einer Erschöpfung der Widerstandskräfte führt, von denen ein großer Teil sich gegen die wichtigste aller Bedrohungen wenden müsste, dann liegt in der Tat ein unheilvoller Verschiebungsmechanismus vor: Man reagiert sich in der Bekämpfung von vergleichsweise greifbaren Schädlichkeiten ab, die unbewusst das bei weitem gefährlichste, aber deshalb unerträglich gewordene Angstobjekt ersetzen." Gemeint war natürlich die durchaus reale Gefahr eines Atomkrieges in Europa, deren psychologische Auswirkungen Richter folgendermaßen charakterisierte: "Das Vernichtungspotential, das die Atommächte bereits aufgehäuft haben, ist zu ungeheuerlich, als dass man es noch auszuhalten wagt, sich die Ausmaße vor Augen zu halten. Es gibt Wahrheiten, die so entsetzlich sind, dass man alle Anstrengungen daran wendet, sie zu verdrängen bzw. zu verharmlosen."
Wie heute.
Und zu dieser Verharmlosung gehört auch ein dem Wunderglauben ähnliches magisches Hoffen auf automatische Veränderungen. Horst-Eberhard Richter: "Je weniger man selbst das System beeinflussen kann, in das man eingeordnet und von dem das Tun in erheblichem Maße bestimmt wird, umso mehr möchte man darauf bauen, dass das gute Gewissen in dem System selbst steckt. Man versucht alles mögliche, um diese Überzeugungen gegen gegenteilige Erfahrungen zu verteidigen, und konsumiert deshalb dankbar eine entsprechende Propaganda des Systems. Man belügt sich, aber man kann damit besser schlafen."
Der Philosoph Günther Anders, der wie kein Anderer sich mit der Gefahr einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit auseinandergesetzt hat, nannte diesen Mechanismus "Apokalypseblindheit".
Es geht darum, die Angst wieder zu lernen, den, wie Günther Anders vor 65 Jahren in seinen "Thesen zum Atomzeitalter" schrieb, "Mut zur Angst" wieder aufzubringen: "Was zu klein ist und was dem Ausmaß der Bedrohung nicht entspricht, ist das Ausmaß unserer Angst. Habe keine Angst vor der Angst, habe Mut zur Angst. Auch den Mut, Angst zu machen. Ängstige deinen Nachbarn wie dich selbst." Und Anders fuhr fort: "Freilich muss diese unsere Angst eine von ganz besonderer Art sein: 1. Eine furchtlose Angst, da sie jede Furcht vor denen, die uns als Angsthasen verhöhnen könnten, ausschließt. 2. Eine belebende Angst, da sie uns statt in die Stubenecken hinein in die Straßen hinaustreiben soll. 3. Eine liebende Angst, die sich um die Welt ängstigen soll, nicht nur vor dem, was uns zustoßen könnte."
Sich der Angst stellen und diese produktiv umzusetzen, würde für jede/n Einzelne/n von uns hier und jetzt bedeuten, sich mit allem gebotenen Ernst Folgendes - und zwar nicht nur auf der Ebene der Ratio, sondern, viel wichtiger!, auch des Gemüts - bewusst zu machen: Jawohl, es ist brandgefährlich! Und wenn wir jetzt nicht handeln, wenn ich jetzt nicht handele, wird die Wahrscheinlichkeit, dass das Undenkbare eintritt, mit jedem Tag größer. Oder, um einen über 200 Jahre alten ‚kategorischen Imperativ' Heinrich von Kleists zu paraphrasieren: "Handele so, als ob das Schicksal einer weiteren Eskalation des Krieges allein von dir abhinge!" (Dies würde im übrigen auch dem Friedensgebot unseres Grundgesetzes entsprechen, das, wie der verstorbene Botschafter a.D. und Genscher-Vertraute Frank Elbe schrieb, "eine unmittelbar bindende Vorschrift unserer Verfassung ist: Sie verpflichtet jedermann - staatliche Organe wie auch jeden Bürger.")
Hören wir ein letztes Mal Horst-Eberhard Richter: "Die Bedrohung lässt sich überhaupt nur bewusst ertragen, indem man praktisch dagegen ankämpft." Und schauen wir uns die aktuellen Bedingungen des ‚praktischen Dagegen-Ankämpfens' illusionslos an: Die Lage ist dramatisch. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist in Sprachlosigkeit und Unbeweglichkeit gelähmt, die junge Generation der Klimaschützer auf dem rüstungspolitischen Auge blind und das, was unter dem Etikett "Friedensbewegung" heute noch aktiv ist, ist überwiegend marginalisiert, vergreist und im Ritualismus erstarrt. Es sieht so aus, als müssten wir alle nochmal ganz von vorne anfangen.
Und hoffentlich bleibt uns noch genügend Zeit!
PS: Die Diagnosen und Warnungen Horst-Eberhard Richters vom Mai 1980 blieben übrigens nicht ungehört. Im Februar 1981 ging Der Stern ein großes Risiko ein, als er unter dem Titel "Die größte Atomwaffendichte der Welt" eine Karte der alten Bundesrepublik mit den Standorten der dort gelagerten 6.000 Atomsprengköpfe veröffentlichte. Nun konnte jeder, der es wissen wollte, nachprüfen, wieviele potenzielle ‚Hiroshimas' in seiner unmittelbaren Nachbarschaft schon gelagert waren. Und am 10. Oktober desselben Jahres demonstrierten bereits 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung amerikanischer atomar bestückter Mittelstreckenraketen. Zwei Jahre später, im Herbst 1983, waren es über eine Million.
Die Friedensbewegung konnte damals die Stationierung nicht verhindern, aber Jahre später schrieb ein gewisser Michail Sergejewitsch Gorbatschow: "Ich erinnere mich gut an die lautstarke Stimme der Friedensbewegung gegen Krieg und Atomwaffen in den 1980er-Jahren. Diese Stimme wurde gehört!"
Quelle: Globalbridge vom 14.03.2024.
]]>Mit Forderungen, einen Milliardenbetrag für die "zivile Infrastruktur" (unter anderem auch Bunker etc.) bereitzustellen, die im Fall eines Krieges wichtig sei, wird indirekt der aktuelle Militarismus unterstützt. Der Ausbau des Zivilschutzes stellt außerdem lediglich eine Scheinsicherheit dar, da die nukleare und chemisch-industrielle Infrastruktur Europas eine nicht zu beherrschende Gefahr im Kriegsfall bedeutet.
Der Hauptgeschäftsführer des Kommunalverbandes, André Berghegger (CDU), forderte am Samstag vom Bund systematische Vorkehrungen - darunter mehr Bunker - zum Schutz der Bevölkerung bei militärischen Konflikten, was umgangssprachlich "Krieg" heißt. Zitat:
"Jetzt kommt es nicht nur darauf an, die Bundeswehr verteidigungsfähig zu machen. Es geht (...) um den Schutz der Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren."
Diese Wortmeldung fügt sich in die Strategie von Boris Pistorius, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter sowie weiteren Akteuren der Militärlobby ein, einen Mentalitätswechsel der Bevölkerung hin zur Kriegstüchtigkeit zu erwirken. Die Kriegsvorbereitung führt die Gesellschaft potenziell in den finalen Weltkrieg. Es geht hier um ein Eskalationsrisiko, das einzugehen niemand jemals das Recht hat.
Pistorius' Werbung zur Wiedereinführung der Pflicht zum Militärdienst, die Aufrüstung, die immer weiter forcierten Spannungen gegenüber Russland und im Hintergrund auch China erzielen ihre Wirkung: Die NATO, die Hochrüstung auch auf Kosten der Daseinsvorsorge und sogar die Atomrüstung - all das findet in der Bevölkerung laut Medien immer mehr Unterstützung:
"Weit über die Hälfte der Deutschen befürwortet größere Investitionen in die Verteidigung der Bundesrepublik."
Kritik, die vorkommt, richtet sich teilweise gegen militärische Schwächen wie die mangelnde Abhörsicherheit und weniger gegen die Hochrüstung.
In die mediale Stimmungs- und Meinungsmache im Sinn des Militarismus, die Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, schon 2020 kritisierte, also zwei Jahre vor der Invasion Russlands in die Ukraine, stößt nun der Städte- und Gemeindebund mit seiner Forderung, einen Milliardenbetrag für die zivile Infrastruktur vorzusehen, die im Fall eines Krieges wichtig sei.
So sollen die Menschen dafür gewonnen werden, maximale Ruhe zu bewahren, während die Staatsführung immer mehr auf Militär setzt. Die 1980er Jahre sitzen der Militärlobby noch in den Knochen, als der Widerstand der Friedensbewegung Millionen Menschen erfasste. Der Aufbau einer Infrastruktur des Zivilschutzes stellt allerdings lediglich eine Scheinsicherheit dar, da die nukleare und chemisch-industrielle Infrastruktur Europas eine besondere Gefahr im Kriegsfall bedeutet. Und darüber hinaus hebelt diese Strategie und Propaganda das Friedensgebot des Grundgesetzes sowie des Völkerrechts aus.
Was hier geschieht, ist in der Tat Kriegsvorbereitung im Atomzeitalter. Diese Strategie geht unter anderem auf Jahrzehnte alte Konzepte zurück, wie es zum Beispiel der US-Militärstratege Colin S. Gray 1980 in seinem ›Foreign Policy‹-Text "Victory is Possible" entwickelte. Er schrieb:
"Ein Nuklearkrieg ist möglich. Aber im Gegensatz zu Armageddon, dem apokalyptischen Krieg, der als Ende der Geschichte prophezeit wird, kann ein Atomkrieg eine Vielzahl von möglichen Folgen haben. Viele Kommentatoren und hochrangige US-Regierungsbeamte halten ihn für ein nicht überlebensfähiges Ereignis. Die Popularität dieser Ansicht in Washington hat eine so durchdringende und bösartige Wirkung auf die amerikanische Verteidigungsplanung, dass sie für die Vereinigten Staaten schnell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. (...)
Schläge gegen die UdSSR sollten gezielt gegen die Evakuierungsbunker der höchsten politischen und administrativen Führung, ... geführt werden, gegen unentbehrliche Kommunikationszentren ... der Regierung; und gegen viele wirtschaftliche, politische und militärische Dokumentationszentren. Schon eine nur begrenzte Zerstörung einiger dieser Ziele und eine weitreichende Isolierung eines Großteils der Schlüsselkader, die überleben, könnte für das Land revolutionäre Folgen haben. ...
Strategen ... können immerhin für sich in Anspruch nehmen, dass eine intelligente amerikanische Offensivstrategie, in Verbindung mit Heimatverteidigung, die US-Verluste auf etwa 20 Millionen Menschen reduzieren würde. Dies würde strategische Drohungen der USA glaubwürdiger machen. (...)
Eine Kombination von offensivem Entwaffnungsschlag, Zivilschutz und einem Abwehrsystem gegen ballistische Raketen bzw. Luftabwehr müssten die US-Verluste so niedrig halten, dass ein nationales Überleben und Wiederaufbau möglich sind."
Auf diese Atomkriegsstrategie wies die Friedensbewegung schon früh hin, sie wurde und wird aber von der Kriegspropaganda übertönt.
Wir haben hier das Konzept einer Bereitstellung von Enthauptungsschlagwaffen - wie die für Überraschungsangriffe gegen Leitzentralen und Militärsilos geeigneten Marschflugkörper, zu denen aktuell die Taurus-Marschflugkörper zählen, die von der Ukraine aus Ziele in Moskau und alle Infrastruktur westlich davon ausschalten könnten. Für die Abwehr eines russischen Gegenschlages bauen die USA bereits in Polen und Ungarn Systeme auf, die gegen Russland gerichtet sind. Und jetzt kommt die Forderung für die dritte Säule hinzu: den "Zivilschutz" genannten Scheinschutz für die Bevölkerung in einem Erdteil mit circa 170 Atomreaktoren.
Ein solches Konzept allen Akteuren zu unterstellen, wäre eine nicht belegbare Behauptung. Das geleakte Geheimgespräch hochrangiger Bundeswehrgeneräle offenbart allerdings, in welcher Eskalationsspirale wir uns hier befinden, wie leichtfertig Militärs aus militärischen Optionen Angriffsplanspiele ableiten, die existenzielle Risiken eines nicht mehr kontrollierbaren Flächenbrandes enthalten. Was hier geschieht, das erinnert an die Abschiedsrede des damaligen US-Präsidenten Eisenhower, in der er 1961 vor dem militärisch-industriellen Komplex warnte:
"Wir müssen uns davor hüten, dass der militärisch-industrielle Komplex unbefugt Einfluss ausübt, ob dies nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschieht. Das Potential für den katastrophalen Anstieg unangebrachter Macht besteht und wird weiter bestehen."
Quelle: NachDenkSeiten - 13.03.2024. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
]]>Von Helmut Scheben
Für die Richterin am Amtsgericht Cochem waren das Urteil und seine Begründung wohl schon vor Prozessbeginn formuliert. Sie brauchte nur wenige Minuten, um zum Urteilsspruch zu gelangen. In der touristischen Weißwein-Stadt an der Mosel fand am 4. März zum einhundertsten Mal ein Strafverfahren gegen Leute statt, die überzeugt sind, dass Frieden nicht mit mehr Atomwaffen zu erreichen wäre, sondern mit weniger Atomwaffen. Solche Menschen werden in Deutschland routinemäßig vor Gericht gestellt und verurteilt, wenn sie gewaltfrei gegen atomare Rüstung protestieren.
Das Gericht in Cochem ist zuständig für den Fliegerhorst Büchel in der Eifel, wo Kernwaffen der Streitkräfte der USA lagern. Das dortige Geschwader der deutschen Luftwaffe übt mit seinen Tornado-Kampfjets den Einsatz von Atombomben vom Typ B61. Diese werden derzeit "modernisiert". Die USA sind dabei, ihre nuklearen Freifallbomben durch neue "smarte" Lenkwaffen-Bomben vom Typ B61-12 und B61-13 zu ersetzen. Deutschland kauft außerdem von den USA den Tarnkappenbomber F-35, der künftig als Träger für die Atomwaffen dienen soll.
Miriam Krämer aus Aalen in Baden-Württemberg und Gerd Büntzly aus Herford in Nordrhein-Westfalen wurden letzten Montag wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Sie hatten am 8. Mai 2023 zusammen mit fünf weiteren Personen das Luftwaffen-Gelände in Büchel durch den offenen Eingang für Baustellenfahrzeuge betreten. Frau Krämer schilderte in ihrer Einlassung, man habe das Datum bewusst gewählt, weil es an das Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Herrschaft erinnere:
"Ich teilte dem Sicherheitspersonal mit, dass es sich um eine Mahnwache aus diesem Anlass handele und dass keine Bedrohung von uns ausgehe. Banner wurden entfaltet. Es entwickelte sich mit den beiden Bediensteten des Sicherheitspersonals eine durchaus respektvolle Diskussion über den Zweck und Ort des Protestes. Als das Personal der Bundeswehr eintraf, setzen wir uns etwa 10 Meter vom Tor entfernt auf die Straße nieder. Hierdurch sollte symbolisch der gewaltfreie und anhaltende Protestcharakter betont werden."
Gerd Büntzly (74) hatte der Richterin nichts zu sagen. Er erklärte, die Sachlage sei dem Gericht und auch den höheren Instanzen seit Jahren bekannt. Sie hätten immer die gleichen Verurteilungen ausgesprochen und niemals Beweisanträge zu den Atomwaffen in Büchel zugelassen. Aus diesem Grund verzichte er darauf, sich zu verteidigen und werde schweigen.
Miriam Krämer (58) verteidigte sich selbst in einem siebenseitigen Plädoyer. Sie bestreitet nicht den Tatbestand des Hausfriedensbruchs, beruft sich aber darauf, dass das Gesetz eine Straftat für rechtens erklärt, wenn diese dazu dient, eine weitaus schwerere Straftat abzuwenden und ein Rechtsgut zu schützen, das von höherwertigem Interesse ist als das Verbot, ein umzäuntes Gelände ohne Erlaubnis zu betreten.
Die Angeklagte wirft der deutschen Regierung vor, mit der Lagerung von Atomwaffen und dem Training für deren Einsatz gegen das Völkerrecht und den Atomwaffensperrvertrag zu verstoßen. Sie verstoße außerdem gegen das Grundgesetz, welches Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, als verfassungswidrig erklärt. Das Strafgesetzbuch kennt den "rechtfertigenden Notstand", wenn es gilt, eine schwere Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre oder Eigentum abzuwehren. Für Miriam Krämer und ihre Mitstreiter kann kein Zweifel bestehen, dass die Vorbereitung eines Atomkrieges eine solche Gefahr darstellt.
Es ist die Regierung der USA, die über den Einsatz der Kernwaffen entscheidet, die in Büchel liegen. Wenn im Oval Office in Washington der rote Knopf gedrückt würde, befände sich der Bündnispartner Deutschland im Atomkrieg. Die deutsche Regierung beteiligt sich an der US-Rüstungsstrategie mit der harmlos-bürokratischen Parole "nukleare Teilhabe". Nach Angaben des Friedensforschungsinstituts in Stockholm (SIPRI) werden die USA in den nächsten 20 Jahren rund eine Billion Dollar (engl. 1 Trillion) für das sogenannte "updating" ihre 4000 Atomwaffen ausgeben.
Miriam Krämer
Aufgewachsen in einer gebildeten, systemkritischen Familie in der DDR, als Jugendliche Ausreise nach Westdeutschland, Musikstudium, später Ausbildung zur Friedensfachfrau und Leitungsfunktionen in der Friedensarbeit und im internationalen Konfliktmanagement, davon zwei Jahre im Sudan. Miriam Krämer sieht sich selbst als eine durchaus etablierte und ordnungsliebende Bürgerin: "Ich fühle mich privilegiert, und mein Leitgedanke lautet: Privileg ist eine Verpflichtung."
Ihr politisches Bewusstsein gehe zurück auf die Familiengeschichte: auf den Widerstand ihrer Großmutter in der Hitler-Zeit, aber auch auf die Dissidenz ihrer Familie in der DDR, die ihr ein Universitätsstudium dort unmöglich machte. Ein Ereignis, das sie später in der Bundesrepublik aufrüttelte, sei die Teilnahme Deutschlands am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Restjugoslawien gewesen. Von da an nahm ihre Arbeit in der Friedensbewegung ihren Lauf.
Miriam Krämer sagte der Richterin, sie halte sich an das Prinzip des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien Widerstandes als Mittel, Regierungsmacht zu korrigieren. Am Telefon sagte sie mir nach dem Prozess: "Ich bin den Leuten in der DDR, die 1989 auf die Straße gegangen sind, sehr dankbar. Das sind meine Vorbilder. Auch das war damals etwas Verbotenes und Verrücktes. Aber was heute als Unrecht dasteht, kann morgen lobenswert sein."
Miriam Krämer sagte mir am Ende eines längeren Gesprächs: "Wir sind uns bewusst, dass wir Gesetze brechen. Wir überschreiten damit eine Schwelle. Wir tun etwas, das verboten ist. Und wir tun das nicht, weil wir Freude daran haben. Ich frage mich oft: Was mache ich da eigentlich? Daher habe ich der Richterin auch gesagt: Im Grunde entscheiden Sie nicht über einen Hausfriedensbruch, sondern über mein Leben, über meine Lebenshaltung: Dass ich nämlich als mündige und gebildete und sehr verantwortungsvolle Bürgerin diese Straftat begehe, weil ich meine Pflicht darin sehe, auf Unrecht aufmerksam zu machen. Und ich denke, solche Bürger muss es geben in einer Demokratie."
Sie wurde zu einer Strafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Die genaue Summe muss noch festgesetzt werden. Sie hat Berufung eingelegt.
Kommentar von Helmut Scheben
Zu konstatieren, mit einer Haltung wie der von Miriam Krämer machten Atomwaffengegnerinnen sich in Deutschland derzeit verhasst, wäre eine Untertreibung. Es braust einmal wieder ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall. Die EU werde "auf Kriegswirtschaft umstellen", lauten die Schlagzeilen. Der deutsche Luftwaffenchef erörtert mit Generälen, wie man mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern die Krim-Brücke zerstören könne und mit welchen faulen Tricks eine direkte Involvierung Berlins verschleiert werden könne. Die aufgeregte Mediendiskussion dreht sich vor allem um die Frage der "Sicherheitslücke": Wie konnte das Gespräch publik werden? Und der Vorwurf von russischer Seite, Deutschland plane den Krieg gegen Russland? Das kann nur billige russische Propaganda sein. Generäle plaudern halt über dieses und jenes.
Wer im Ukraine-Krieg nach Waffenstillstand statt nach Waffenlieferungen ruft, gilt unverzüglich als Bewunderer des Wladimir Wladimirowitsch, von dem der Zürcher "Tages-Anzeiger" annimmt, er sei "ein banaler, brutaler Straßenschläger, der gerade so weit denken kann, wie seine Faust reicht" (8.3.24.) Die vielbeschworene Zeitenwende scheint eine neue Epoche der Scheiterhaufen und Hexenverbrennungen einzuläuten. Zumindest ist dies der ideologische Tonfall in führenden Medien, die gegen die "Lumpenpazifisten" ("Der Spiegel") mobil machen.
Donald Trump deutete mit einer seiner flapsigen Bemerkungen an, die Europäer müssten mehr aufrüsten, sonst werde er ihnen nicht mehr militärisch beistehen. Ein flächendeckendes Wehgeheul in ganz Westeuropa war die Folge. "Braucht Europa eigene Atomwaffen?", fragt der "Deutschlandfunk". Dass es in Frankreich, Großbritannien und Deutschland schon genug Atomsprengköpfe gibt, wird mit diesem Titel kaschiert. Katarina Barley, SPD-Spitzenpolitikerin für die Europawahl, ist der Meinung, eigene EU-Atombomben könnten "ein Thema werden", weil auf den Schutz Europas durch den US-Atomschirm kein Verlass mehr sei.
Selbstverständlich weiß jeder, der bis drei zählen kann, dass ein nuklearer Schlagabtausch dem Auftakt zur globalen Selbstzerstörung gleichkäme. Frappierend ist daher die Obsession, mit der manche Politiker und Journalisten sich derzeit am Thema der atomaren Katastrophe festbeißen. Das Szenario eines russischen Atomwaffenangriffs wird unablässig herbeigeschrieben.
So paradox es klingen mag: Es gibt Neurotiker, die das Jüngste Gericht herbeisehnen, um am Ende Recht zu behalten. Als wünschten sie das Eintreten der nuklearen Katastrophe nach der Devise: "Wir haben ja immer gesagt, dass der Satan Putin vor dem Weltuntergang nicht zurückschreckt."
Die so denken, lassen sich nur ungern daran erinnern, dass es bisher nur einen Staat auf der Welt gibt, der Städte nuklear vernichtet hat. Am 6. August 1945 warfen die USA eine Atombombe mit dem Namen "Little Boy" auf Hiroshima. Von den 300'000 Einwohnerinnen und Einwohnern wurden binnen vier Monaten 140'000 getötet und ungezählte weitere zu langjährigem Leiden verdammt. Die Nuklearsprengköpfe, die in Büchel lagern, haben ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.
Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Pazifikkrieg, sagte dem Wissenschaftsjournalisten Norman Cousins, er sei von Washington vor dem Abwurf der Bomben in Hiroshima und Nagasaki nicht konsultiert worden. Der amerikanische Kriegsheld erklärte Cousins, die größte Gefahr bestehe darin, dass die Völker der Welt nicht erkannt hätten, dass es mit dem Entstehen der Atombombe keine militärische Sicherheit im herkömmlichen Sinne mehr geben könne. In einer Rede in Los Angeles sagte MacArthur 1955, seit es der Wissenschaft gelungen sei, die totale Vernichtung herzustellen, sei es nicht mehr möglich, internationale Differenzen durch Krieg zu bereinigen. MacArthur wörtlich:
"Krieg ist ein Frankenstein geworden, der beide Seiten zerstört (...) Die hunderte Milliarden Dollar, die wir in die Rüstung stecken, könnten wahrscheinlich die Armut aus der Welt schaffen." (Norman Cousins: The Pathology of Power. New York 1987. S.67)
Den Betreibern der atomaren Kriegsaufrüstung könnte es gehen wie dem Zauberlehrling: Da wird ein Ungeheuer gezüchtet, das sich früher oder später der Kontrolle seines Schöpfers entzieht. Denn die Existenz solcher Waffen stellt keinen "Schutzschirm" und keine "Sicherheit" her, sondern ein Sicherheits-Hochrisiko. Bei extrem komplexen, elektronisch gesteuerten Systemen von Massenvernichtungswaffen wird es früher oder später eine Panne geben. In der Vergangenheit sind wir mehrmals um Haaresbreite an der Katastrophe vorbeigekommen.
Präsident Dwight D. Eisenhower, der in seiner berühmten Abschiedsrede 1961 vor der Gefahr warnte, dass der "militärisch-industrielle Komplex" übermächtig werden könne, sagte dem erwähnten Journalisten und Friedensforscher Norman Cousins: "Ich will nicht, dass Leute, die finanzielle Interessen an Spannungen und Krieg haben, in der nationalen Politik mitzureden haben."
Die Kräfte, die die Rüstungsspirale antreiben, sind wichtige - möglicherweise die wichtigsten - Wirtschaftsmotoren. Die meisten großen Konzerne des Westens verdienen an der gigantischen Aufrüstung und am "Wiederaufbau" nach jedem Krieg. Das geht vom reinen Waffenbusiness über Bauwesen, Transport, Food, Kleidung, Energie bis hin zur Telekom- und IT-Branche. Ein Zitat aus der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo: "Der Krieg ist dann zu Ende, wenn die Waffenhändler ihre Quote erreicht haben und die Betonhändler meinen, es wäre jetzt an der Zeit, dass sie die Bühne betreten."
Quelle: Infosperber.ch - 11.03.2024.
]]>Papst Franziskus hat die Ukraine aufgefordert, Verhandlungen mit Russland zu suchen, um das Sterben zu beenden. Die Reaktionen vieler deutscher Politiker und Journalisten offenbaren einmal mehr die Entschlossenheit, diesen Krieg möglichst in die Länge zu ziehen.
Die "Argumente" der Gegner von Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukrainekrieg sind vorerst nur Behauptungen. Zieht man das ideologische und emotionale Beiwerk in diesen Begründungen ab, dann bleibt noch diese permanent wiederholte These übrig: Wenn Putin nun in der Ukraine auch nur den kleinsten Erfolg erzielt, dann würde er "einfach weitermachen" mit seinen Feldzügen - also anschließend mindestens das Baltikum überrollen. Um diese (behauptete) imperialistische Dynamik zu verhindern, müssen "wir" also mit unseren Steuergeldern und bis zum letzten Ukrainer "zusammenstehen", so das ideologische Konstrukt vieler Kriegsverlängerer - ein Konstrukt, das sich (wie gesagt) nicht auf Fakten, sondern auf Behauptungen stützt.
Die Gegenseite hat dagegen zumindest eine unumstößliche und bittere Realität auf ihrer Seite: Täglich sterben Menschen auf beiden Seiten. Dieses Sterben könnte umgehend beendet werden, wenn sich nicht immer wieder Kriegsverlängerer in den Weg einer Verhandlungslösung stellen würden. Dass das Eintreten gegen Verhandlungen in den meisten deutschen Medien nicht als ein Eintreten für verlängertes Sterben problematisiert wird, ist ein Zeichen der "zeitengewendeten" Zeit und wirft ein helles Licht auf diese Journalisten. Ebenso muss es als tragisches Versagen (bzw. als problematischer Vorsatz) von weiten Teilen der Medienlandschaft bezeichnet werden, dass die Sinn- und Wirkungslosigkeit sowohl des westlichen Wirtschaftskrieges gegen Russland als auch der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht angemessen thematisiert wird.
Papst Franziskus hat sich nun zur Frage von Friedensverhandlungen und Waffenstillstand in der Ukraine geäußert, wie etwa Lost in EUrope berichtet: "Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln", sagte der Papst demnach in einem Interview. "Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird", fügte er hinzu. Die Kritik am Papst etwa aus Kiew hängt sich laut dem Bericht vor allem an einer Bemerkung des Papstes auf: Die Ukraine müsse den Mut haben, "die weiße Flagge zu hissen und zu verhandeln". Der Papst habe an dieser Stelle aber nur eine Frage aufgegriffen und keineswegs eine "bedingungslose Kapitulation" gefordert, wie Fabio De Masi in diesem längeren Tweet erläutert. Seine Interpretation der Papst-Worte:
"Eine Verhandlung, um das Leben der eigenen Bevölkerung zu schützen und einen noch größeren Verlust an Souveränität zu vermeiden, ist keine Schande."
Lost in EUrope erwähnt auch, dass es neben dem Papst aktuell auch einen Vorstoß des türkischen Präsidenten Erdogan gibt, der sich als Gastgeber für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine angeboten hat.
Dass der Ukrainekrieg von westlicher Seite noch im Vorfeld des russischen Einmarsches hätte verhindert werden können, das haben die NachDenkSeiten oft beschrieben. Auch über die mutmaßlich von westlicher Seite sabotierten Möglichkeiten, den Ukrainekrieg auch nach dem russischen Einmarsch noch möglichst schnell zu beenden, haben wir berichtet.
Das moralische Auftrumpfen der grünen, schwarzen und gelben Sofa-Soldaten ist darum unhaltbar. Die aktuellen Reaktionen auf die Äußerungen des Papstes zeigen, wie gründlich die Schocktherapie der "Zeitenwende" wirkt: Noch vor kurzer Zeit wäre ein so "selbstbewusstes" öffentliches Eintreten für ein Fortsetzen des (von beiden Seiten begangenen) Gemetzels undenkbar gewesen. Man kann in gewissen Kreisen nun tatsächlich Ruhm ernten, indem man durch Meinungsmache hilft, Friedensverhandlungen zu sabotieren und Kriege zu verlängern. Hier folgen aus dem Artikel "Papst-Äußerungen zu Ukraine-Krieg sorgen für Entsetzen" einige Reaktionen aus der deutschen Politik:
So sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne): "Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine." Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Heuer meint: "Der Papst rät also der Ukraine zu einer Existenz unter russischer Diktatur." Er fügte noch hinzu: "Ich schäme mich als katholischer Christ einmal mehr für das Versagen der römisch-katholischen Kirche an zentraler Stelle." Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann behauptete: "Bevor die ukrainischen Opfer die weiße Flagge hissen, sollte der Papst laut und unüberhörbar die brutalen russischen Täter auffordern, ihre Piraten-Fahne - das Symbol für den Tod und den Satan - einzuholen." Auch sollte er "die mörderische Hetze" des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., verurteilen. "Ich schäme mich als Katholikin, dass er das unterlässt", sagte die FDP-Politikerin.
Da wollen auch manche Sozialdemokraten nicht nachstehen: So sagte der SPD-Politiker Wolfgang Thierse, sollte die Ukraine dem Rat des Papstes folgen, die weiße Fahne zu hissen, "so hätte das schwere Folgen für die Ukraine und Europa. Putin würde sich ermuntert sehen, seinen brutalen Imperialismus fortzusetzen". Und die Präsidentin des Evangelischen Kirchentages 2025 in Hannover, Anja Siegesmund, sagte: "Die Sehnsucht nach Frieden darf nicht dazu führen, dass das Recht des vermeintlich Stärkeren siegt". Wer die eigene Freiheit verteidige, bedürfe der Unterstützung aller, die jetzt in Freiheit leben. "Wir stehen weiter an der Seite der Ukraine", hob Siegesmund hervor. Auch auf Roderich Kiesewetter ist in dieser Sache Verlass.
Viele Journalisten geben der Position gegen Verhandlungen Schützenhilfe oder treiben in der Sache sogar Politiker vor sich her: Die FAZ wiederholt die These von der "Ermutigung Putins": "Ein Aufgeben der Ukraine bedeutet keinen dauerhaften Frieden für Europa. Sondern die Ermutigung Putins zum nächsten Krieg". Die Nürnberger Nachrichten meinen zum einen, der russische Präsident dürfte sich freuen über die Worte von Franziskus, zum anderen wird auch hier von der "Ermutigung" des russischen Präsidenten zum Imperialismus geredet: "Hat er in der Ukraine auch nur etwas Erfolg, macht er weiter". Auch die Volksstimme aus Magdeburg behauptet, dass "ukrainischer ‚Mut zur weißen Fahne'" nichts anderes bedeuten würde "als den Triumph von Putins Imperialismus. Der ‚Heilige Vater' hat sich als scheinheiliger Friedensprediger entlarvt".
Die Worte des Papstes zeigen Wirkung: Sie stärken die Menschen, die das sinnlose Sterben im Stellungskrieg schnell beenden wollen. Und sie zwingen die Menschen, die dieses Sterben aus ideologischen oder wirtschaftlichen Gründen verlängern wollen, einmal mehr dazu, diese moralisch unhaltbare Position öffentlich zu verteidigen.
Quelle: NachDenkSeiten - 11.03.2024.
Weblinks:
Laut UNICEF sterben bereits jetzt die ersten Kinder an Unterernährung. Einem kürzlich erschienenen Bericht der London School of Hygiene and Tropical Medicine, Health in Humanitarian Crises Center und des Johns Hopkins Center for Humanitarian Health zufolge werden selbst im günstigsten Fall eines sofortigen dauerhaften Waffenstillstands in den nächsten sechs Monaten mehr als 6.500 Menschen im Gazastreifen sterben, weil die Ernährungslage, die Unterkünfte, die sanitären Einrichtungen und die Gesundheitsversorgung in der Enklave derartig desolat sind. Hält der Krieg jedoch an, steigen ihre Prognosen für denselben Zeitraum auf 58.200 bis über 74.000 Tote (aus dem aktuellen Newsletter von medico international).
Prof. Devi Sridhar, Inhaberin des Lehrstuhls für globale öffentliche Gesundheit an der Universität von Edinburgh, schreibt im Guardian:
Es mag Ihnen schwer fallen, die Nachrichten weiter zu lesen, aber denken Sie an die Menschen in Gaza, vor allem an die Kinder, die absichtlich ausgehungert werden. Die ständigen Schmerzen im Bauch, die Lethargie, der langsame Abbau aller Fettspeicher, dann der Muskeln, dann des Körpergewebes. Das kommt vielleicht nicht in die Abendnachrichten oder auf TikTok, weil es weniger sichtbar ist als Bomben und nicht in kurze Clips passt. Aber für die meisten ist es die Realität des Lebens in Gaza und tragischerweise die größte Bedrohung, der sie in den kommenden Tagen ausgesetzt sind. (aus: I asked public health colleagues about starvation in Gaza. They say there is no precedent for what is happening; The Guardian vom 6. März 2024)
Unterdessen gibt es in Deutschland Banken, die Spenden nicht annehmen, wenn im Betreff "Hilfe für Gaza" angegeben ist. Wie ist das zu begreifen? Steht "Gaza" seit dem 7. Oktober kollektiv für das ultimativ Böse? Nimmt man in Deutschland an, dass Mitleid mit hungerleidenden Kindern, mit Vertriebenen und Verwundeten ein Ausdruck von Antisemitismus ist? Dass Hilfsbereitschaft für obdachlose Kriegsflüchtlinge den Menschen in Israel das Recht auf ihre Existenz abspricht? Stehen Empathie und Solidarität mit einer geschundenen palästinensischen Bevölkerung als Synonyme für Israel- oder gar Judenhass? Geht die vielzitierte "uneingeschränkte Solidarität mit Israel" zwingend Hand in Hand mit dem konsequenten Wegschauen von einer der größten humanitären Kriegs- und Hungerkatastrophen der Neuzeit?
Was in Gaza geschieht, während Du diese Zeilen liest, muss ein Ende finden, und zwar sofort. Das wird nur geschehen, wenn Israel seine Kampfhandlungen einstellt und beide Seiten nicht permanent die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln und einen sofortigen Waffenstillstand torpedieren. Denn eines ist klar: Am Ende des Tages werden es Verhandlungen sein, die den Krieg beenden, nicht ein militärischer Sieg, Doch das offizielle Israel scheint daran kein Interesse zu haben. Daher müssen die USA, muss die EU und Deutschland zumindest ihre Waffenlieferungen an Bedingungen knüpfen (sagt die Realpolitikerin in mir; mein wahres Ich sagt: Gar keine Waffen mehr! Schluss mit allen Kriegen! Schwerter zu Pflugscharen!).
Wer es wagt, sich vor Ort einen eigenen Eindruck von der Situation zu veschaffen wie der SPD-EU-Abgeordnete Udo Bullmann, kann nicht mehr mit der offiziellen deutschen Regierungshaltung mitgehen. Im DLF-Interview berichtet er von seinen Eindrücken und kritisiert Israels Vorgehen scharf. Er fordert auch eine Überprüfung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel, sprich: Sonder(Handles-)konditionen zwischen der EU und Israel müssen endlich an Bedingungen geknüpft werden, die zu einem Ende des Krieges führen.
Ich weiß, wir können nicht alle vor Ort selbst Augenzeugen werden. Aber wir können uns auch nicht erlauben, die Augen zu verschließen, während uns der Horror in Echtzeit ins Haus gestreamt wird. Wir müssen uns wieder auf das Wesentliche, auf unsere Menschlickeit besinnen in unseren Diskussionen und unseren Forderungen. Es ist bereits so viel zerbrochen innerhalb unserer eigenen Gesellschaft; so viel Spaltung, so viel Ausgrenzung, Misstrauen und Empathielosigkeit in Diskursen, die man gar nicht mehr so nennen kann. Ich appeliere an uns alle: Lasst uns wieder in Berührung kommen mit unserem eigenen Menschsein. Lasst uns im eigenen Kreis, in unseren persönlichen Begegnungen freundlich miteinander sein, einander zuzuhören, bevor wir mit unserer eigenen Meinung vorpreschen. Lasst uns den Mut haben, uns immer wieder in die Schuhe der anderen zu stellen - gerade wenn sie ganz andere Meinungen vertreten als wir. Wenn wir es ernst meinen mit Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit und Menschenrechten, dann müssen wir einiges aushalten, vor allem unsere Mitmenschen und die Vielfalt ihrer Meinungen und Ansichten.
Hier noch ein paar Bilder und Videos aus Gaza. Und der Versuch einer Erklärung in diesem SRF-Beitrag mit Gideon Levy, warum die Wahrheit über die Geschehnisse uns selten erreicht. Sehr gut zu diesem Thema auch diese Analyse von Sana Saeed.
Herzlichst,
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Quelle: Nirit Sommerfeld - 12.03.2024. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Nirit Sommerfeld.
]]>Dass Israel den Hunger als Kriegswaffe einsetzt, wird durch die Absicht der israelischen Behörden deutlich, auch Zivilisten in Gaza zu töten. Der Gazastreifen leidet unter einer noch nie dagewesenen Hungersnot. Als Kinder zu verhungern begannen, hat Israel mindestens drei gezielte Angriffe auf Menschenmengen verübt, die auf die Verteilung von Lebensmitteln warteten. Da die Mittel für UNRWA gestrichen wurden und die USA und Israel informelle und ungeordnete Hilfslieferungen bevorzugen, nimmt das Leiden der Zivilbevölkerung weiter zu.
Bereits am 18. Dezember warnte Human Rights Watch, dass Israel Hunger als Kriegsmittel einsetzt, was ein Kriegsverbrechen und einen Verstoß gegen die Internationale Konvention zur Verhütung des Völkermordes darstellt. Die systematische israelische Bombardierung von Bäckereien im gesamten Gazastreifen war ein Hinweis darauf, dass der Hunger eher das Ziel als ein Nebeneffekt der militärischen Aktionen Israels ist.
Laut der UNO leben vier von fünf Menschen auf der Welt, die an extremer Unterernährung leiden, in Gaza. Dazu gehören nicht nur die Palästinenser in Gaza, sondern auch die israelischen Geiseln. Freigelassene Geiseln berichteten, dass ihre Hamas-Geiselnehmer die wenigen Lebensmittel, die ihnen zur Verfügung standen, mit ihnen teilten und dass alle Geiseln in der Gefangenschaft aufgrund der Lebensmittelknappheit an Gewicht verloren.
Die Anschuldigungen Israels gegen UNRWA haben die beiden größten Geldgeber, die USA und Deutschland, veranlasst, die Mittel für die wichtigste Hilfsorganisation zu streichen, die Nahrungsmittel für den Gazastreifen bereitstellt. Dadurch wurde die Hungersnot noch verschärft. Berichte über verhungerte Kinder wurden bereits Ende Februar veröffentlicht. In der Zwischenzeit haben sich rechtsgerichtete israelische Aktivisten vor den Kontrollpunkten zwischen Israel und Gaza versammelt, um die Einfahrt von Hilfslieferungen nach Gaza zu verhindern.
Am 29. Februar versammelten sich Hunderte von Menschen am Eingang von Gaza-Stadt, weil sie hörten, dass Hilfs-LKW mit Mehl kommen würden. Als die Lastwagen ankamen, eröffnete eine Reihe von israelischen Panzern das Feuer auf die hungrige Menge. Zwar feuerten die Panzer in die Luft, aber die israelischen Soldaten schossen direkt in die Menschenmenge. 112 Menschen wurden getötet, über 750 wurden verletzt. Das israelische Militär behauptete, die meisten der Toten seien im Gedränge der hungrigen Menschen, die die Lastwagen erreichen wollten, zu Tode getrampelt worden. Autopsien ergaben jedoch, dass 80 % der Leichen von Kugeln durchbohrt waren, und zwar von der gleichen Art, die unter anderem Deutschland nach Israel exportiert hat.
Die USA haben Israels Angriff auf den Gazastreifen ermöglicht und dem israelischen Militär nahezu unbegrenzte Mengen an Munition zur Verfügung gestellt. Obwohl Präsident Biden in den letzten Wochen einige eher zurückhaltende Kommentare abgab, in denen er Israel aufforderte, auf die Sicherheit der Zivilisten in Gaza Rücksicht zu nehmen, hat sich der Ton der USA erst nach dem Massaker vom 29. Februar geändert. Vizepräsidentin Kamala Harris rief zu einem Waffenstillstand und zu mehr Hilfe für den Gazastreifen auf. Die USA haben danach einen Plan genehmigt, Hilfspakete aus der Luft an der Küste des Gazastreifens abzuwerfen, obwohl eine solche willkürliche Verteilung von Hilfsgütern zu noch mehr Chaos führen kann und denjenigen, die die Hilfspakete schneller erreichen können, einen unfairen Vorteil gegenüber den Schwachen, Kranken, Alten und Jungen verschafft. Obwohl die USA ihre Mittel für UNRWA selbst gestrichen haben, forderten US-Beamte andere Länder wie die Türkei auf, die Mittel für UNRWA aufzustocken, um eine Ausbreitung der Hungersnot zu verhindern.
Israel lässt in seinen Angriffen nicht nach. Es hat seine Anschuldigungen gegen UNRWA verschärft und behauptet nun ohne Beweise, dass 450 UNRWA-Mitarbeiter Hamas-Mitglieder sind (im Gegensatz zu 12, wie zuvor behauptet wurde). Unterdessen berichten palästinensische Familien im nördlichen Teil des Gazastreifens, dass die israelischen Behörden an sie herangetreten sind, die Verteilung von Lebensmitteln zu organisieren und damit UNRWA zu ersetzen, sofern sie sich an die strengen Regeln des israelischen Militärs halten.
In der Zwischenzeit dienen die Lebensmittel weiterhin als Falle für israelische Angriffe. Am 3. März bombardierten die israelischen Streitkräfte den Kuwaiti-Kreisel in Gaza-Stadt und töteten und verletzten Dutzende von Menschen, die auf die Verteilung von Lebensmitteln warteten. Am 5. März wiederholte sich das Angriffsmuster, als sich eine weitere Menschenmenge am Kuwaiti-Kreisel versammelte, die auf die Verteilung von Lebensmitteln wartete.
Quelle: BIP e.V. - BIP-Aktuell #295 (hier ist der Artikel mit zahlreichen Quellenhinweisen verlinkt).
]]>Es gibt eine Konvergenz unzähliger Krisen, von denen die gesamte Menschheit betroffen ist. Ohne sie aufzählen zu müssen, beschränke ich mich auf zwei äußerst gefährliche und sogar tödliche: einen Atomkrieg zwischen militaristischen Mächten, die um die Vorherrschaft in der Welt wetteifern. Da die Sicherheit niemals vollständig ist, würde die Formel 1+1=0 funktionieren, d.h. einer würde den anderen vernichten und das gesamte menschliche Lebenssystem mit sich reißen. Die Erde wäre immer noch verarmt und voller Wunden, aber sie würde immer noch für viele Millionen Jahre um die Sonne kreisen, aber da wäre immer noch der Satan des Lebens, nämlich der verrückte Mensch, der seine Dimension der Weisheit verloren hat.
Das andere Problem ist der zunehmende Klimawandel, von dem wir nicht wissen, bei welchem Grad Celsius er sich stabilisieren wird. Eine Tatsache ist unbestreitbar und wird von den skeptischen Wissenschaftlern selbst festgestellt: Wissenschaft und Technologie kommen zu spät. Wir haben den kritischen Punkt überschritten, an dem sie uns noch helfen könnten. Jetzt können sie uns nur noch vor den kommenden Extremereignissen warnen und die schädlichen Auswirkungen minimieren. Klimaforscher gehen davon aus, dass sich das Klima schon in den nächsten Jahren weltweit auf etwa 38-40 Grad Celsius einpendeln könnte. In anderen Regionen könnten es bis zu 50 Grad werden. Es wird Millionen von Opfern geben, vor allem unter Kindern und älteren Menschen, die nicht in der Lage sein werden, sich an die veränderte Situation der Erde anzupassen.
Dieselben Wissenschaftler haben die Staaten davor gewarnt, dass Millionen von Migranten ihr geliebtes Land wegen der übermäßigen Hitze und der Frustration bei der Nahrungsmittelernte verlassen werden. Es ist möglich und wünschenswert, dass es eine globale und plurale planetarische Governance gibt, die sich aus Vertretern von Völkern und sozialen Klassen zusammensetzt, um über die Situation einer veränderten Erde nachzudenken, ohne die strengen Grenzen zwischen den Nationen zu respektieren. Es geht nicht darum, dieses oder jenes Land zu retten, sondern die gesamte Menschheit. Realistischerweise hat Papst Franziskus mehrfach gesagt: Diesmal gibt es keine Arche Noah, die einige rettet und den Rest untergehen lässt: "Entweder wir retten uns alle oder niemand wird gerettet".
Wie Sie sehen, befinden wir uns in einer Grenzsituation. Das Bewusstsein für diese Dringlichkeit ist bei der Mehrheit der Bevölkerung sehr gering, betäubt von der kapitalistischen Propaganda des ungehemmten Konsums und von den Staaten selbst, die weitgehend von den herrschenden Klassen kontrolliert werden. Sie blicken nur auf den Horizont und glauben an einen unbegrenzten Fortschritt in der Zukunft, ohne zu erkennen, dass der Planet begrenzt ist und nicht mehr ausreicht, und dass wir 1,7 Planeten auf der Erde brauchen, um ihren üppigen Konsum zu befriedigen.
Gibt es einen Ausweg aus dieser Anhäufung von Krisen, von denen wir uns hier auf zwei beschränken? Ich glaube, dass weder der Papst noch der Dalai Lama, noch irgendein privilegierter Weiser unsere Zukunft vorhersagen kann. Wenn wir die Übel der Welt betrachten, müssen wir José Saramago zustimmen, der sagte: "Ich bin kein Pessimist; es ist die Situation, die schrecklich ist". Ich erinnere mich an den bezaubernden Franz von Assisi, der verzaubert die leuchtende Seite der Schöpfung sah. Er forderte seine Mitbrüder jedoch auf: Betrachtet die Übel der Welt nicht zu sehr, damit ihr keinen Grund habt, über Gott zu klagen. In gewisser Weise sind wir alle ein wenig wie Hiob, der geduldig über all die Übel klagte, die ihn bedrückten. Wir beklagen uns auch, weil wir nicht verstehen, warum es so viel Böses gibt, und vor allem, weil Gott schweigt und das Böse oft triumphieren lässt, wie jetzt angesichts des Völkermords an unschuldigen Kindern im Gazastreifen. Warum schreitet er nicht ein, um seine Söhne und Töchter zu retten? Ist er nicht "der leidenschaftliche Liebhaber des Lebens" (Weisheit 11,26)?
Freud, der sich selbst nicht als gläubig bezeichnete, wird der Ausspruch zugeschrieben: Wenn ich vor Gott trete, habe ich ihm mehr Fragen zu stellen, als er mir zu stellen hat, denn es gibt so viele Dinge, die ich nie verstanden habe, als ich auf der Erde war.
Weder die Philosophie noch die Theologie haben bisher eine überzeugende Antwort auf das Problem des Bösen geben können. Sie sagen allenfalls, dass Gott, indem er uns durch die Inkarnation nahe kam - nicht um den Menschen zu vergöttlichen, sondern um Gott zu vermenschlichen -, sagen wollte, dass dieser Gott mit uns ins Exil geht, unseren Schmerz und sogar unsere Verzweiflung am Kreuz auf sich nimmt. Das ist großartig, aber es gibt keine Antwort auf den Grund des Bösen. Warum musste der vermenschlichte Gott auch leiden, "obwohl er Gottes Sohn war, lernte er Gehorsam durch seine Leiden" (Hebräer 5,8). Dieser Vorschlag lässt das Böse nicht verschwinden. Es bleibt ein Stachel im Fleisch.
Vielleicht müssen wir uns mit der Aussage des heiligen Thomas von Aquin begnügen, der eine der zugegebenermaßen brillantesten Abhandlungen "Über das Böse" (De Malo) verfasst hat, in der er am Ende vor der Unmöglichkeit der Vernunft, das Böse zu erklären, kapituliert und schlussfolgert: "Gott ist so mächtig, dass er aus dem Bösen das Gute machen kann". Das ist Vertrauen in den Glauben, nicht in die Vernunft.
Was wir mit einiger Sicherheit sagen können, ist, dass, wenn die Menschheit, insbesondere das Kapitalsystem mit seinen globalisierten Großkonzernen, ihre Logik der Ausbeutung natürlicher Güter und Dienstleistungen bis zur Erschöpfung im Interesse einer unbegrenzten Akkumulation fortsetzt, wir mit den Worten von Sigmunt Bauman sagen können: "Wir werden uns der Prozession derer anschließen, die auf ihr eigenes Grab zugehen".
Wenn wir erst einmal das schlimmste Verbrechen begangen haben, das je in der Geschichte begangen wurde: den gerichtlichen Mord am Sohn Gottes, indem wir ihn ans Kreuz genagelt haben, ist nichts anderes mehr möglich. Wie J.P. Sartre nach den Bombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki sagte: Der Mensch hat sich den Tod selbst angeeignet. Und Arnold Toynbee, der große Historiker, bemerkte: Wir brauchen nicht mehr das Eingreifen Gottes, um seiner Schöpfung ein Ende zu setzen; es ist an unserer Generation, die Möglichkeit ihrer eigenen Zerstörung zu erleben.
Pessimismus? Nein. Realismus. Aber es gehört auch zu unserer Möglichkeit, den Glaubenssprung zu wagen, der als möglicher Ausgang des kosmogenen Prozesses eingeschrieben ist: Wir glauben, dass der wahre Herr der Geschichte und ihres Schicksals nicht der Mensch ist, sondern der Schöpfer, der aus den Trümmern und der Asche einen neuen Mann und eine neue Frau, einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen kann. Dort wird das Leben ewig sein und die Liebe, das Fest, die Freude und die Gemeinschaft aller mit allen und mit der Höchsten Wirklichkeit herrschen: Et tunc erit finis.
Leonardo Boff ist Autor von: Cuidar da Terra-proteger a vida: como escapar do fim do mundo, Record, Rio de Janeiro 2010; A nossa ressurreição na morte, Vozes 2012.
Quelle: Traductina, 21.02.2024.
]]>Zum 13. Jahrestag des Super-GAUs von Fukushima am kommenden Montag (11.3.) erklärt Armin Simon von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt:
"Atomkraft bleibt ein unbeherrschbares Risiko. Gefährliche Risse, fehlerhafte Bauteile, Unwetter, Kurzschlüsse und Erdstöße können auch in europäischen Atomkraftwerken jederzeit einen schweren Unfall auslösen, von der Gefahr möglicher Angriffe und Anschläge auf Atomanlagen ganz zu schweigen. Wer weiter auf Atomkraft setzt, provoziert den nächsten Super-GAU. Anders als in Fukushima würde die radioaktive Wolke in Europa allerdings nicht über dem Pazifik abregnen, sondern über dicht besiedeltem Gebiet.
Wie real die Atomgefahr ist, hat erst kürzlich das Neujahrserdbeben auf der japanischen Halbinsel Noto wieder gezeigt. Die Erdstöße dort verursachten, von niemandem vorausgesehen, Schäden an einem Trafo des AKW Shika, die Hauptstromversorgung des großen Reaktors fiel aus. Dass es nicht zur Katastrophe kam, lag vor allem daran, dass das AKW seit Fukushima stillliegt - ein Erfolg des Anti-Atom-Protests vor Ort. Denn der Betreiber des Reaktors versucht seit Jahren, diesen wieder in Betrieb zu nehmen. Gutachten verneinten eine Erdbebengefährdung. Die Erdstöße vom 1. Januar widerlegten sie eindrücklich. Inzwischen hält selbst die japanische Atomaufsicht neue Untersuchungen für nötig.
Auch im Norden der Noto-Halbinsel, nahe der Kleinstadt Suzu, hat der hartnäckige Widerstand von Atomkraftgegner*innen mutmaßlich eine Atomkatastrophe verhindert. Das dort einst geplante AKW Suzu wurde aufgrund des massiven Protests nicht gebaut. Es hätte genau im Epizentrum des Neujahrsbebens gestanden.
Das Abschalten der AKW in Deutschland hat das Atomrisiko hierzulande drastisch reduziert. Doch solange andere Länder noch auf Atomkraft setzen, ist auch Protest dagegen weiter nötig."
Quelle: .ausgestrahlt - gemeinsam gegen Atomenergie - Pressemitteilung vom 08.02.2024.
]]>Wir veröffentlichen nachfolgend den Brief an Bundeskanzler Scholz und stellen beide Briefe zum Herunterladen ein.
Vorstand des deutschen Zweiges
des Internationalen Versöhnungsbundes e.V.
Schwarzer Weg 8
32423 Minden
www.versoehnungsbund.de
An Herrn
Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str. 1
10557 Berlin
Freising, den 7.3.2024
Betr.: Offener Brief vor dem Hintergrund der aktuellen Kriegsgefahren
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
als Vorstand des 1914 zur Verhinderung des 1. Weltkrieges entstandenen deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes möchten wir Ihnen zunächst danken für ihre klare Haltung in den letzten Tagen bezüglich der Nicht-Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine.
Entsetzt und geschockt sind wir immer noch über das von russischer Seite abgehörte Gespräch deutscher Militärs über den Einsatz dieser hochgefährlichen Taurus-Waffe gegen die Krim-Brücke. Wir erinnern daran, dass jede Eskalation in diesem Krieg immer wieder Eskalationen der Gegenseite provoziert - dabei ist Deeskalation dieses schrecklichen Krieges das Gebot der Stunde. Ein militärischer Sieg ist theoretisch wegen der drohenden Atomkriegsgefahr und praktisch wegen der langfristigen militärischen Überlegenheit Russlands nicht denkbar.
Als für Gerechtigkeit und Frieden engagierte Bürgerinnen und Bürger möchten wir Sie bitten, unverzüglich eine diplomatische Wende weg von der weiteren Lieferung von Waffen hin zur Unterstützung der in der Schweiz anvisierten ersten von zwei Ukraine-Friedenskonferenzen zu unterstützen. Sowohl Russland wie auch die Ukraine benötigen von ihren jeweiligen Partnern Einflussnahme, damit sie zu Verhandlungen bereit sind. Als Unterstützer der ukrainischen Seite haben wir stärkeren Einfluss auf die Ukraine.
Der ukrainische Präsident Selensky hat seinen Widerstand gegen eine Beteiligung Russlands an einer zweiten Konferenz unlängst erst aufgegeben. Es gilt nun, in einem Verhandlungsformat einen Waffenstillstand herbei zu führen und das unsägliche Leid dieses Krieges zu beenden.
Wolfgang Richter ist Oberst a. D., war Leitender Militärberater in den deutschen VN- und OSZE-Vertretungen und arbeitet jetzt als Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP). Er beschäftigt sich u. a. mit der Europäischen Sicherheitsordnung und der stabilisierenden Rolle der Rüstungskontrolle. Als ehemaliger Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat der die Bundesregierung beraten.
In seiner jüngsten von der Friedrich Ebert Stiftung herausgegebenen Veröffentlichung "Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Vorbereitung - Kriegsverlauf - Ressourcen - Risiken - Folgerungen", Dezember 2023, schreibt er:
"Notwendig ist vielmehr ein glaubwürdiges Verhandlungsangebot, das Sicherheitsinteressen Russlands ebenso in den Blick nimmt wie die Wahrung der Unabhängigkeit und Souveränität der ukrainischen Nation".
Diesem Ansatz schließen wir uns als Versöhnungsbund an - und möchten Sie daher bitten, sich bei der geplanten Ukraine-Konferenz in der Schweiz diesbezüglich einzusetzen.
Wir werden diesen offenen Brief auch der Presse zugänglich machen und auf unserer Homepage veröffentlichen. Ihre Antwort werden wir vertraulich behandeln und Dritten oder der Presse nicht zugänglich machen.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Ronnefeldt,
im Auftrag des Gesamtvorstandes des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes.
Aus dem Internationalen Versöhnungsbund gingen insgesamt sechs Friedensnobelpreisträger:innen hervor.
Unser Verband hat Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.
Die Briefe können auch als Anregung dienen, eigene unterstützende Briefe an die beiden Adressaten zu schreiben.
Quelle: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig - 08.03.2024.
]]>Von Tolstoi-Friedensbibliothek, März 2024
Die vor 120 Jahren erschienene, längst vergriffene deutsche Ausgabe von Tolstois Kalenderbuch Gedanken weiser Männer hat Ingrid von Heiseler in der Tolstoi-Friedensbibliothek als ungekürzte Neuedition vorgelegt. Der Übersetzer Adolf Heß schrieb zur Entstehung dieser Sammlung: "Während der schweren Krankheit Leo N. Tolstois im Januar 1903, als sein Leben an einem seidenen Faden hing und er der gewohnten Arbeit nicht nachgehen konnte, fand er doch die Kraft, täglich im Neuen Testament und auf einem Kalender im Schlafzimmer die Aussprüche verschiedener großer Männer zu lesen. Aber das Jahr und mit ihm der Kalender ging zu Ende und nun entstand in Tolstoi der Wunsch, sich selbst Auszüge aus verschiedenen Denkern für jeden Tag zusammenzustellen. Täglich vom Bette aus, soweit es seine Kräfte erlaubten, machte er diese Auszüge - fügte auch eigenes hinzu ..."
Das so entstandene Buch war Auftakt zu insgesamt drei weisheitlichen Lesewerken Tolstois (es folgten der Lektürezyklus "Für alle Tage", 1904-1908, und die Anthologie "Der Weg des Lebens", 1910). Dokumentiert wird in der vorliegenden Ausgabe eine Rezension der Illustrierten Zeitung für das gesamte Judentum von 1905: "Es ist sehr bemerkenswert, dass unter den sechsundfünfzig Autoren, die Tolstoi exzerpiert hat, der Talmud am stärksten vertreten ist. Von den Sprüchen für die 365 Tage des Jahres sind nämlich nicht weniger als hundert und sieben dem Talmud entnommen. Diese enorme Ziffer wird noch dadurch erhöht, dass die Zitate aus dem Talmud meist von größerem Umfang sind und jedes von ihnen füglich in mehrere Sprüche zerlegt werden kann. Der Talmud hat offenbar auf den Weisen von Jasnaja Poljana einen starken Eindruck gemacht und seinem Geist Nahrung geboten."
Mit wüsten Phantasien warnten auch die neuen Antisemiten ab dem 19. Jahrhundert vor dem Talmud als angebliche Geheimquelle für "jüdische Verschwörungen". Leo N. Tolstoi stellte hingegen Sentenzen aus dem Talmud bewusst an die Spitze seiner Anthologie und unterstrich durch die Auswahl den Einklang mit seiner eigenen Botschaft des Friedens:
(Beispiele aus Tolstois Kalenderbuch)
Verurteile deinen Nächsten nicht, bevor du in seiner Lage warst.
Wer seinen Nächsten haßt, der vergießt Menschenblut.
Wie gefühllos und gleichgültig gegen fremdes Leid ist doch ein reicher Mann.
Hast du deinem Nächsten Böses getan, und sei es auch nur ein geringes, so halte ein solches für ein großes; hast du ihm aber eine große Wohltat erwiesen, so erachte sie als unbedeutend; eine kleine Wohltat dagegen, die dir von anderen erwiesen ist, halte für groß. - Gottes Segen geht auf den herab, der den Armen gibt; doppelter Segen ruht auf dem, der ihnen hierbei freundlich begegnet.
Ein beginnender Streit gleicht einem Strome, der den Damm durchbricht: Sobald er ihn durchbrochen hat, ist er nicht mehr zu halten.
Der Mensch hat die Macht, Streit anzustiften, aber er hat nicht die Macht, ihn zu ersticken, denn der Streit lodert auf, gleich einer Flamme, die der löschenden Wirkung des Wassers nicht nachgibt.
Ein Teil deiner Freunde tadelt dich, der andere lobt dich; halt dich zu denen, die dich tadeln, und halt dich fern von denen, die dich loben.
Liebe den ewigen Gott so, daß durch dich auch andere ihn lieben. - Erfülle Gottes Gebote mit Liebe. Es ist nicht dasselbe, sie aus Liebe zu Gott oder aus Furcht vor ihm zu erfüllen.
Böses vergilt mit Gutem.
Gott tritt für den Verfolgten ein, ob nun ein Gerechter einem Gerechten oder ein Böser einem Bösen nachstellt - stets ist Gott auf der Seite des Verfolgten, wer dies auch sei.
Wer Kenntnis des Gesetzes hat, aber nicht die Liebe zu Gott, gleicht dem Schatzmeister, dem die inneren Schlüssel ohne die äußeren ausgehändigt sind.
Wer ist ein Held? - Der seinen Feind in einen Freund verwandelt.
Wer spricht: Ich werde sündigen und werde Buße tun, dem wird (von oben) nicht gegeben, Buße zu tun; wer spricht: Ich werde sündigen, der Bußtag erlöst mich von meinen Sünden, den erlöst der Bußtag nicht von seinen Sünden. Vergehen gegen Gott werden am Bußtag gebüßt, aber Vergehen gegen den Nächsten werden nicht gebüßt, solange der Nächste nicht zufrieden gestellt ist.
Ich habe viel von meinen Lehrern gelernt, mehr noch von meinen Gefährten, am meisten von meinen Schülern.
Bemerkst du Fehler an dir, geh schleunigst hin und mach selbst Anzeige.
Ob du getan hast, was du tun mußtest, ist deswegen von ungeheurer Wichtigkeit, weil der einzige Sinn deines Lebens darin besteht, daß du in der kurzen Lebensfrist, die dir gegeben ist, den Willen dessen tust, der dich ins Leben gesandt hat. - Tust du das wirklich?
Leo N. Tolstoi: Gedanken weiser Männer. Neuedition der Übersetzung von Adolf Heß, 1903. Bearbeitet von Ingrid von Heiseler. (Tolstoi-Friedensbibliothek: Reihe B, Band 17). Norderstedt 2024. (ISBN: 9783758371240; Paperback; 196 Seiten; 10,90 Euro).
Inhaltsverzeichnis, Leseprobe, Bestellangebot beim Verlag:
https://buchshop.bod.de/gedanken-weiser-maenner-leo-n-tolstoi-9783758371240
Übersicht und Informationen über die gesamte Reihe (einschließlich der kostenfrei abrufbaren Digitalversionen) auf der Projektseite: www.tolstoi-friedensbibliothek.de
Das Lebenshaus Schwäbische Alb ist Kooperationspartner dieses pazifistischen Editionsprojektes.
Der Autor des folgenden Gastbeitrags Roland Wiesendanger ist seit 1993 Physik-Professor an der Universität Hamburg. Er ist unter anderem Mitglied der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften "Leopoldina" und der "acatech", Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften, Fellow mehrerer internationaler Wissenschaftsorganisationen, Ehrendoktor der Technischen Universität Posen und Ehrenprofessor des chinesischen "Harbin Instituts für Technologie". Über 600 Fachartikel hat der Physiker bisher (mit-)verfasst und weltweit über 600 wissenschaftliche Vorträge gehalten. Durch seine berufliche Tätigkeit ist er weltweit bekannt und vernetzt. Der deutsche Virologe Christian Drosten ging juristisch gegen Wiesendanger vor, nachdem dieser behauptet hatte, Drosten habe die Öffentlichkeit "gezielt getäuscht", was die Herkunft des Pandemievirus betreffe. Infosperber veröffentlicht im Folgenden eine gekürzte Fassung des Artikels von Roland Wiesendanger. (Red. Infosperber)
Von Roland Wiesendanger
Nichts hat unser tägliches Leben in den vergangenen vier Jahren so nachhaltig negativ beeinflusst wie die Coronaviruspandemie, deren gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Nichts lag unmittelbar zu Beginn der Pandemie näher als nach deren Ursprung zu fragen – auch von Seiten der Wissenschaft.
Bereits Ende Januar 2020 erachteten international bekannte Virologen, wie beispielsweise Kristian Andersen vom Scripps Institut in Kalifornien, einen Laborunfall in einem virologischen Institut der Stadt Wuhan in China für sehr wahrscheinlich, nicht zuletzt auf Grund zahlreicher Auffälligkeiten im Erbgut des SARS-CoV-2 Virus (Zitat von Andersen: "Die Version des Entweichens aus dem Labor ist deshalb so verdammt wahrscheinlich, weil sie [gemeint sind Forscher in Wuhan] diese Art von Arbeit bereits gemacht haben und die molekularen Daten mit diesem Szenario völlig übereinstimmen.")
Andersen informierte Anthony Fauci, den damaligen Direktor einer Unterabteilung der "US National Institutes of Health" und Gesundheitsberater zahlreicher US-amerikanischen Präsidenten, über seine Erkenntnisse bezüglich der Herkunft des neuartigen Coronavirustyps, woraufhin Fauci umgehend eine Telefonkonferenz am 1. Februar 2020 initiierte, an der neben Kristian Andersen auch Jeremy Farrar, Leiter des Wellcome Trust, und Christian Drosten von der Berliner Charité teilnahmen.
Quelle: Infosperber.ch - 07.03.2024.
]]>Bei ihrer Frühjahrsvollversammlung Ende Februar 2024 in Augsburg haben die katholischen Bischöfe Deutschlands zum Thema Demokratie und Frieden Stellung bezogen. Sie veröffentlichten eine Erklärung mit dem Titel: "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar". Damit haben sich die Bischöfe tatsächlich weiter aus dem Fenster gelehnt, als wir es in den letzten Jahren gewohnt waren. Sie haben die Vielzahl der Krisen benannt, völkischen Nationalismus klar und deutlich verurteilt und sie haben die Notwendigkeit einer Gemeinwohlorientierung unterstrichen. Das sind alles Perspektiven, die bei den deutschen Bischöfen in den letzten Jahren nicht im Vordergrund standen.
Zugleich bleibt das Statement – ganz ohne damit zu überraschen – auf regierungsnaher Linie: Es identifiziert vor allem die AfD als gesellschaftliches Hauptproblem. Doch es ist es ja nicht nur die AfD, die an beunruhigender Relevanz gewonnen hat. Auch in den sogenannten etablierten Parteien haben sich problematische Positionen stark gemacht. Die CDU will mit ihrem Grundsatzprogramm massive Grundrechtseinschränkungen für Geflüchtete einführen, wie beispielsweise Asylverfahren in Drittstaaten, was eine massive Entrechtung zur Folge hätte. Bundeskanzler Scholz hat in Der Spiegel ebenfalls sehr deutlich gesagt: "Wir müssen mehr abschieben." Das sind Positionen, für die gar nicht die AfD notwendig ist. Die gegenwärtige Entrechtungspolitik wird bereits jetzt in Gesetze gegossen. So wurde vor kurzem erst noch das Rückführungsverbesserungsgesetz mit einer massiven Aushebelung von Grundrechten für Geflüchtete eingeführt – und das eben nicht von einer AfD-Regierung. In einer notwendigen Analyse dieser Probleme greift dieses Bischofsspapier zu kurz, wenn es sich im Wesentlichen auf die AfD bezieht.
Es müsste die tiefer liegende Frage dazu gestellt werden, in was für einer Situation von Verunsicherung und auch katastrophistischer Selbstbeschreibung – die ja offensichtlich diese Gesellschaft prägt – stecken wir eigentlich und was wären ganz andere Antworten darauf aus unserer christlich-jüdischen Tradition heraus? Die Perspektive eines Lebens in Fülle für alle, ist doch eine fundamental andere als das, was von den Parteien vielerlei Couleur und rechten Akteuren derzeit vorangetrieben wird.
In ihrem Papier beziehen sich die Bischöfe auch positiv auf die Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Prinzipiell ist auch dies überraschend, da es nicht so oft vorkommt, dass ein Papier in der Bischofskonferenz sich positiv auf Bewegungen auf der Straße bezieht. Gleichzeitig wird auch hier nicht deutlich gemacht, dass zwar gegen den das Erstarken rechter Positionen demonstriert wird, aber dabei nicht thematisiert wird, dass der vermeintliche Rechtsruck schon längst stattfindet. Er ist nicht nur imaginär, in dem Sinne, dass er wirkmächtig würde, wenn die AfD an die Macht käme bei einer nächsten Wahl, sondern viele Forderungen, die die AfD für die Zukunft stellt, sind jetzt schon Regierungshandeln . Diese Position kommt auf den Demonstrationen sehr wenig zur Sprache und das Bischofspapier hat es im Grunde genommen verpasst, genau das auch zumindest kritisch in Frage zu stellen.
Ebenfalls aus Anlass er Vollversammlung haben die deutschen Bischöfe ihr neues Friedenspapier Friede diesem Haus veröffentlicht. Darin zeigt sich ebenfalls, dass eine Kritik des Regierungshandelns von den Bischöfen nicht formuliert werden soll. So wird eine weitere Aufrüstung zur Abschreckung, kriegerische Involvierung in diversen Kriegen weltweit, Waffenlieferungen, ein Ausbau der Rüstungsindustrie nicht eindeutig problematisiert. Die Bischöfe schwanken zwischen christlichem Pazifismus und der Perspektive eines ,gerechten Krieges` bzw. des Rechts auf Selbstverteidigung. Hier wird versucht, letztlich eine Vermittlung von zwei theologischen Positionen zu unternehmen, die nicht wirklich vermittelt werden können. Durch dieses unklare Sowohl-als-auch wird letztlich für die Legitimation von staatlichen Kriegen votiert. Interessant ist, dass in dem Dokument ,Friede diesem Haus` der Begriff des christlichen Realismus geprägt wird. Bei der Vollversammlung der Bischöfe wurde das auch dadurch deutlich, dass man den Oberbefehlshaber der Bundeswehr zu einem Gespräch eingeladen hat. Nirgendwo aber war davon die Rede, dass auch VertreterInnen der Friedensbewegung mit eingeladen worden wären. Es gibt bei den Bischöfen also offensichtlich ein sehr klares Verständnis von diesem christlichen Realismus, was nahtlos an die Politik der Bundesregierung anschließt.
Im Gegensatz dazu stehen die Texte von Papst Franziskus, der sehr deutlich von einem "Dritten Weltkrieg auf Raten" spricht und der eine entschiedene Kritik der Rüstungsproduktion weltweit und der damit verbundenen Profitinteressen vornimmt.
In einer Zeit, in der sich die globalen Konflikte zuspitzen, wo die geostrategischen Auseinandersetzungen immer mehr Dynamik gewinnen, kann es für ChristInnen nicht darum gehen zu sagen, wir stehen auf der einen oder auf der anderen Seite zweier Kriegsparteien – also unterstützen wir Russland oder die Ukraine, Israel oder Palästina, Saudi-Arabien, Jemen oder den Iran? Vielmehr muss es um eine dritte Position gehen: Um global diese Konflikte in den Griff kriegen zu können, braucht es eine konsequente Abrüstung, Gespräche und es braucht Auseinandersetzungen auf einer anderen Ebene als der mit Waffen.
Der von den Bischöfen verwendete Begriff der Sicherheit ist schließlich kein jüdisch-christlicher, sondern ganz im Gegenteil. Christliche Nachfolge heißt immer, ein Wagnis eines Lebens in Freiheit und Gleichheit einzugehen.
]]>Deutsche Offiziere plauderten darüber, wie man die Kertsch-Brücke, die die Schwarzmeerhalbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet, mit deutschen Raketen zerstören könne. Das wäre ein ähnlicher Terrorangriff wie die Sprengung der Nord-Stream-Gasleitungen durch die USA. Es ist aber zu befürchten, dass die Russen einen solchen Angriff – im Gegensatz zu den US-Marionetten und Hasenfüßen in der deutschen Bundesregierung – nicht unbeantwortet ließen. Nach russischer Auffassung ist die Krim mittlerweile russisches Staatsgebiet und anders als die deutschen Kriegsgurgeln Scholz, Baerbock, Strack-Zimmermann, Merz, Hofreiter und Roth meinen, will die Bevölkerung der Krim zu Russland gehören und nicht zurück in die Ukraine. Zumal die Krim-Beauftragte Kiews, Tamila Taschewa, im Fall einer Eroberung 800.000 Russen von dort deportieren will. "Man nennt es Zwangsausweisung", sagt sie. Das wäre doch ein Fall für Correctiv.
Der eigentliche Skandal besteht darin, dass deutsche Offiziere den Kriegseintritt Deutschlands planen und den Eindruck erwecken, als sei das für sie "business as usual". Um davon abzulenken, verweisen die deutschen Kriegshetzer in Politik und Journalismus darauf, wie unverschämt es ist, dass Russen deutsche Offiziere abgehört haben. Der brave deutsche kriegstüchtige Verteidigungsminister Pistorius, der den Eindruck erweckt, als schlafe er mit den Händen an der Hosennaht, sieht in der Tatsache, dass die Russen die Planung eines Terrorangriffs mit deutschen Taurus-Raketen als einen unerhörten Affront ansehen, "Putins Desinformationskampagne" am Werk.
Die geistige Verwirrung unserer Kriegshetzer fand in der Erklärung des CDU-Politikers Kiesewetter ihren Höhepunkt, als der dazu riet, Taurus-Raketen zu liefern, um russische Ministerien zu zerstören. Diese Wahnsinnsidee führte zu keinem Aufschrei in Politik und Medien und auch nicht dazu, dass die CDU sich von diesem völlig durchgeknallten "Verteidigungsexperten" distanzierte. Es wird einem angst und bange, wenn man sich klar macht, welche verantwortungslosen Hasardeure mittlerweile darüber entscheiden, ob Deutschland im Ukraine-Krieg zur Kriegspartei wird.
Müssen wir die Russen wirklich so lange provozieren, bis sie in Antwort auf Kiesewetter auf die Idee kommen, man müsse den Krieg nach Deutschland tragen und Ministerien in Berlin zerstören?
PS: Man wäre versucht, Kanzler Olaf Scholz zu loben, nachdem er die Lieferung von Taurus-Raketen heute erneut kategorisch abgelehnt hat, wäre da nicht die in den vergangenen zwei Jahren häufig gemacht Erfahrung, dass er nach einiger Zeit wieder umfällt.
Quelle: NachDenkSeiten - 05.03.2024.
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